„Provisionsabgabeverbot“ – Fluch oder Segen?
Das „Provisionsabgabeverbot“ ist ein Thema in der Versicherungsbranche, das im medialen Diskurs überwiegend plakativ und emotional behandelt wird. Nach Meinung der meisten Protagonisten gehört es entweder abgeschafft oder verstärkt. So hat das Landgericht Köln kürzlich ebenfalls kurz und schmerzlos dem „Provisionsabgabeverbot“ unter Bezugnahme auf ein Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt aus 2011 die Geltung abgesprochen. Das Urteil des LG Köln vom 14.10.2015, Az. 84 O 65/15, habe ich veröffentlicht und dort auch kurz etwas dazu gesagt, ohne aber auf das „Provisionsabgabeverbot“ näher einzugehen.
„Provisionsabgabeverbot – Gibt es ein richtiges Leben im falschen?
Was leider im Diskurs über das „Provisionsabgabeverbot“ kaum je wirklich zum Vorschein kommt, ist die Tatsache, dass es DAS „Provisionsabgabeverbot“ gar nicht gibt. Vielmehr ist DAS „Provisionsabgabeverbot“ ein Unterfall des „Sondervergütungsgewährungsverbots“ wie es, so ungefähr jedenfalls, in § 81 Absatz 3 VAG genannt wird. Zugegebenermaßen ist das ein etwas sperriger Begriff, weswegen sich schon lange der Ausdruck „Provisionsabgabeverbot“ eingebürgert hat, da die Provisionsabgabe in der Vergangenheit wohl die häufigste Darreichungsform der Sondervergütung war. Nichtsdestotrotz sollte gerade in der Fachpresse dieser Unterschied bekannt sein und auch publiziert werden. Die Unkenntnis hierüber führt nämlich zu weiteren Mißverständnissen und Fehldeutungen. Aber jetzt wissen wir ja, dass wenn irgendwo „Provisionsabgabeverbot“ steht eigentlich das „Sondervergütungsgewährungsverbot“ gemeint ist.
„Provisionsabgabeverbot“ – Eine multiple Persönlichkeit
„Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?“ heißt ein philosophischer Bestseller von Richard David Precht. Betrachtet man das „Provisionsabgabeverbot“, so sollte man die ähnliche Frage stellen: „Was bist du – Und wenn ja, wie viele“? Denn überraschenderweise gibt es nicht nur EIN „Provisionsabgabeverbot“, sondern es sind gleich drei:
Das ist noch nicht alles: Wer DAS „Provisionsabgabeverbot“ bekämpfen will, kann nämlich sogar an vier Fronten aktiv werden: Direkt bei der gesetzlichen Ermächtigungsnorm des § 81 Abs. 3 VAG und bei den drei Verbotsverordnungen. Eine in der Tat schillernde Persönlichkeit.
Um welches der „Provisionsabgabeverbote“ geht es eigentlich?
Tja, das ist eine Frage, die fast nie gestellt wird, denn selten wird im Diskurs zwischen den drei Verbotsverordnungen wirklich unterschieden. Das führt dann zu pauschalen Aussagen wie z.B. sinngemäß: „Das Provisionsabgabeverbot ist verfassungswidrig, weil es von 1934 stammt“ oder „Das Provisionsabgabeverbot ist verfassungswidrig, weil es zu unbestimmt ist“.
Das neu am Markt agierende Insuretech „Clark“ schreibt zum Beispiel auf seiner Website unter der Rubrik „Über uns“:
„Clark hat sich voll der Transparenz verschrieben: Wir zeigen an, wie viel Provision wir von Versicherungsunternehmen erhalten und streben an, das Provisionsabgabeverbot von 1934 zu deinem Vorteil abzuschaffen. „
Nun, und was ist mit dem „Provisionsabgabeverbot“ von 1982?
Aber es hilft alles nichts, Transparenz herrscht erst, wenn die Fakten auch auf dem Tisch liegen und bekannt sind. Also schauen wir uns die vier Regelungen zum „Provisionsabgabeverbot“ einmal – auszugsweise – näher an:
Die Ermächtigungsgrundlage für Verbote § 81 Abs. 3 VAG
§ 81 Abs. 3 VAG lautet:
„(1) Das Bundesministerium der Finanzen wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, allgemein oder für einzelne Versicherungszweige den Versicherungsunternehmen und Vermittlern von Versicherungsverträgen zu untersagen, dem Versicherungsnehmer in irgendeiner Form Sondervergütungen zu gewähren; ebenso kann es allgemein oder für einzelne Versicherungszweige den Versicherungsunternehmen untersagen, Begünstigungsverträge abzuschließen und zu verlängern.
(2) Die Ermächtigung kann durch Rechtsverordnung auf die Bundesanstalt übertragen werden. Diese erlässt die Vorschriften im Benehmen mit den Versicherungsaufsichtsbehörden der Länder.
(3) Rechtsverordnungen nach den Sätzen 1 bis 3 bedürfen nicht der Zustimmung des Bundesrates.“
„Provisionsabgabeverbot“ Lebensversicherung 8.3.1934
„I. Den Versicherungsunternehmungen und den Vermittlern von Versicherungsverträgen wird untersagt, dem Versicherungsnehmer in irgendeiner Form Sondervergütungen zu gewähren.
II. Den Versicherungsunternehmungen wird untersagt, Begünstigungsverträge abzuschließen oder zu verlängern, soweit die Aufsichtsbehörde keine Ausnahme zuläßt“
„Provisionsabgabeverbot“ Krankenversicherung 5.6.1934
„I. Den Versicherungsunternehmungen und den Vermittlern von Versicherungsverträgen wird untersagt, dem Versicherungsnehmer in irgendeiner Form Sondervergütungen zu gewähren.
II. Den Versicherungsunternehmungen wird untersagt, Begünstigungsverträge abzuschließen.“
„Provisionsabgabeverbot“ Sachversicherung vom 17.8.1982
§ 1 (1) Den unter Bundesaufsicht stehenden Versicherungsunternehmen und den Vermittlern der bei ihnen abgeschlossenen Versicherungsverträge über Risiken der Schaden- und Unfallversicherung, der Kredit- und Kautionsversicherung sowie der Rechtsschutzversicherung ist untersagt, den Versicherungsnehmern in irgendeiner Form Sondervergütungen zu gewähren.
(2) Sondervergütung ist jede unmittelbare oder mittelbare Zuwendung neben den Leistungen auf Grund des Versicherungsvertrages, insbesondere jede Provisionsabgabe.
(3) Nicht als Sondervergütung gilt die Gewährung von Provisionen an Versicherungsnehmer, die gleichzeitig Vermittler des betreffenden Versicherungsunternehmens sind, es sei denn, daß das Vermittlerverhältnis nur begründet worden ist, um diesen derartige Zuwendungen für eigene Versicherungen zukommen zu lassen.
§ 2 (1) Den unter Bundesaufsicht stehenden Versicherungsunternehmen ist ferner untersagt, in den in § 1 genannten Versicherungszweigen Verträge abzuschließen, die Begünstigungen vorsehen oder enthalten. (2) Eine Begünstigung liegt vor, wenn Versicherungsnehmer oder versicherte Personen hinsichtlich der Versicherungsbedingungen (Leistungsumfang) oder des Versicherungsentgelts im Verhältnis zu gleichen Risiken desselben Versicherungsunternehmens ohne sachlich gerechtfertigten Grund bessergestellt werden.“
Verwaltungsgericht Frankfurt 2011 – Ein eindimensionales Urteil
So, wir wissen bis dahin, dass es vier rechtliche Vorschriften gibt, die etwas mit DEM „Provisionsabgabeverbot“ zu tun haben. Davon ist eine Vorschrift ein formelles Gesetz (§ 81 Abs. 3 VAG), drei Vorschriften sind Rechtsverordnungen im Sinne des Art. 80 Abs. 1 GG. Als Zeugnis für die Verfassungswidrigkeit und damit Unwirksamkeit des „Provisionsabgabeverbots“ wird seit dem 24.10.2011 auf ein Urteil des Verwaltungserichts Frankfurt verwiesen. Unterschlagen wird dabei in aller Regel, dass sich das Verwaltungsgericht Frankfurt ausschließlich mit der Ermächtigungsnorm des § 81 Abs. 3 VAG und der Verbotsverordnung für Lebensversicherungen vom 8.3.1934 befasst hat. Und alleine die Verbotsverordnung vom 8.3.1934 hat das VG Frankfurt als zu unbestimmt im Sinne der Art. 20 Abs. 3, 103 Abs. 2 GG angesehen:
„Vorliegend hätte in der Verordnung schon klargestellt werden müssen, was im Bereich des Verkaufs oder der Vermittlung von Lebensversicherungen eine Sondervergütung an den Versicherungsnehmer, die Versicherungsnehmerin sein soll.“
In der Tat definieren die Verbotsverordnungen von 1934 den Begriff der „Sondervergütung“ nicht, weswegen das VG Frankfurt die Rechtsverordnung vom 8.3.1934 als unwirksam angesehen hat. Das lag auch in seiner Entscheidungskompetenz. Ob die Argumentation stichhaltig ist, lassen wir an dieser Stelle einmal dahinstehen.
Ausdrücklich offen gelassen, wenn auch mit Zweifeln hieran, hat das VG Frankfurt die Frage der Verfassungswidrigkeit und EU-Konformität des § 81 Abs. 3 VAG. Denn über diese Fragen hätte es gar nicht entscheiden dürfen. Das wäre entweder Sache des Bundesverfassungsgerichts oder des EuGH gewesen.
Kein Urteil über die Rechtmäßigkeit des „Provisionsabgabeverbots“ an sich
Verblüffend ist, dass die Kernargumentation des VG Frankfurt (Unbestimmtheit des Begriffs „Sondervergütung“) bei der Verbotsverordnung für Sachversicherung von 1982 nicht greift. Zum einen handelt es sich nicht um vorkonstitutionelles Recht, sondern eine unter Geltung des Art. 80 GG zustande gekommene Rechtsverordnung. Zum anderen wird in § 1 Abs. 2 der Verordnung der Begriff der Sondervergütung sehr wohl klargestellt:
„§ 1 (2) Sondervergütung ist jede unmittelbare oder mittelbare Zuwendung neben den Leistungen auf Grund des Versicherungsvertrages, insbesondere jede Provisionsabgabe.“
Hier kommt sogar in der Verordnung selbst der Begriff „Provisionsabgabe“ vor. Man sollte also meinen, dass die Sachverordnung von 1982 gerade die Anforderungen des VG Frankfurt an die Bestimmtheit einer solchen Norm erfüllt.
Oder ist das alles grober Unfug?
Und wer jetzt noch fragt, was denn eine „Provisionsabgabe“ sei und meint, das sei doch alles „grober Unfug“, dem sei als Lektüre die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 14.5.1969 empfohlen:
„Die Strafbestimmung über den groben Unfug (§ 360 Abs. 1 Nr. 11 [zweite Alternative] StGB) ist mit Art. 103 Abs. 2 GG vereinbar.“
Erstaunlich ist die Begründung des Gerichts:
„Der Wortlaut dieser Vorschrift läßt zwar eine weite Auslegung zu. Ihre Besonderheit besteht jedoch darin, daß sie zum überlieferten Bestand an Strafrechtsnormen gehört und durch eine jahrzehntelange gefestigte Rechtsprechung hinreichend präzisiert worden ist. Die Strafbestimmung über den groben Unfug war schon in § 340 Nr. 9 des preußischen Strafgesetzbuches vom 14. Mai 1851 enthalten. Sie wurde von dort in das geltende Strafgesetzbuch übernommen. Das Reichsgericht hat bereits in seinem Urteil vom 27. April 1880 entschieden, daß nicht jeder störende Eingriff in die unter dem Schutze der öffentlichen Ordnung stehenden Interessen und Rechte Dritter grober Unfug sei (RGSt 1, 400 [401]).
Man sieht also: Eine gut gealterte Vorschrift gewinnt anscheinend an Präzision.
Bei diesem Befund kann ich mich dem „Mugger“ aus Rudyard Kiplings Erzählung „Der Leichenbestatter“ nur anschließen:
»Ehret das Alter! Oh, ihr Gefährten vom Strom – ehret das Alter!«
Es grüßt Sie freundlich, Ihr
Michael Hilpüsch
-Rechtsanwalt –